Bridge & Tunnel – ein Label in dem Nachhaltigkeit, Menschlichkeit und Kreativität zusammen finden.

Seit 2013 leiten Constanze & Lotte den Co-Working Space Stoffdeck in Wilhelmsburg, eine Gemeinschaftswerkstatt für nähbegeisterte DIYler und professionelle Designer. Hier kann man sich ganz unkompliziert und je nach Bedarf einmieten und kreativ austoben. Kennengelernt hatte ich das Stoffdeck im Zuge einer Einladung von Craftspace, eine Plattform, auf der man genau solche Räumlichkeiten findet und kreativen Menschen die Möglichkeit gibt, sich in Werkstätten, Büros und Küchen zu verwirklichen. An diesem Abend stellte Craftspace zwei ihrer Co-Workingplaces-Partner vor. Eines davon war das Stoffdeck, aus dem ein größeres Projekt und dann das Label Bridge&Tunnel entstand.

Der Stop bei Bridge&Tunnel hat mich sehr begeistert und nachhaltig beschäftigt. Warum? Nicht nur, weil mir Constanze auf Anhieb sympathisch war, sondern dass dieses Projekt so vieles verbindet und vereint. Bridge&Tunnel stellt Taschen, Rucksäcke und Accessoires aus gebrauchten Kleidungsstücken her. Jedes Erzeugnis ist somit ein Unikat, das wertvolle Materialien wiederverwertet. Gleichzeitig gibt dieses Unternehmen Menschen mit

handwerklichen Fähigkeiten die Chance auf einen erfüllten Job mit Anerkennung. Die meisten Menschen, die hier arbeiten, hätten auf dem Arbeitsmarkt keine Möglichkeit, Fuß zu fassen. Für mich ist dieses Label in vielerlei Hinsicht eine Bereicherung und auch ein Vorbild dafür, wie es gehen könnte.

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Liebe Constanze und liebe Lotte,
das Label Bridge & Tunnel hat es mir sehr angetan, denn nicht nur die Produkte, sondern das ganze Konzept finde ich großartig.

Erzählt mir aber doch erst einmal, wer ihr seid und wie ihr euch gefunden habt.

Constanze // Ich bin Kulturwissenschaftlerin und habe lange in der Hamburger Stadtplanung mit Schnittstelle zu Kultur & Kreativität gearbeitet. Meine Partnerin in Crime Lotte ist Textildesignerin. In meinem alten Job bei der IBA Hamburg, Internationale Bauausstellung Hamburg, war ich für die Kunst- und Kulturprojekte zuständig, u.a. stammt das Stoffdeck mit aus meiner Feder. Die Idee für einen textilen Co-Working Space erschien mir schon damals sehr wichtig, weil ich die kreative Szene in Wilhelmsburg gut kannte, durch enge Kooperationen mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften aber auch wusste, dass viele Mode- oder Textildesignstudenten günstige Ateliers suchen oder auch nur zeitweise Spezialmaschinen, an die sie sich einmieten können. Ich habe das Stoffdeck dann mit unserer heutigen Geschäftsführerin Gudrun Stefaniak entwickelt, die mit ihrem Unternehmen Passage seit vielen Jahren Langzeitarbeitslose in Arbeit bringt. Wir haben das Stoffdeck bewusst nach Wilhelmsburg geholt, weil wir fanden, dass die Stadt

hier noch so wunderschön unfertig ist. Es gibt viel Platz zum Denken, Leute die Lust haben etwas zu machen und deswegen war von Anfang an klar – im Stoffdeck sollen Angebote für Profis und Leute aus dem Stadtteil stattfinden. Wir haben dann zB. Kurse veranstaltet, in denen Designer mit Langzeitarbeitslosen siebdrucken oder aus alten Textilien neue Produkte entwickeln.

Die IBA ist dann mit einer Anschubfinanzierung in das Projekt reingegangen und Passage hat einen Fuhrpark an Nähmaschinen mitgebracht. Und auf einmal ging alles ganz schnell: Die Idee für das Stoffdeck hatten wir Anfang 2013, Pre-Opening haben wir dann schon zwei Monate später gefeiert.

Gleichzeitig war auch schnell klar, dass ich als Kulturwissenschaftlerin – und dazu noch eine, die noch nicht mal nähen kann – unmöglich eine Werkstatt für Mode und Textil allein leiten kann. Wir haben also jemand gesucht, der sich um den operativen Betrieb kümmert. Lotte und ich kannten uns noch aus einem früheren Leben, also eher von Partys & Co… Ich habe unser Stellengesuch dann auf Facebook geteilt und es kam original drei Minuten später eine Nachricht von Lotte „Liebe Conny, du suchst mich!“

Und so kam was kommen sollte. Lotte war mit an Bord und seit 2013 wuppen wir nun schon zusammen das Stoffdeck.

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Als erstes war das Stoffdeck. Wie und warum entstand das Label Bridge & Tunnel?

Lotte // Die Idee zu Bridge & Tunnel kam im wahrsten Sinne des Wortes zu uns: Seit fast vier Jahren gestalten wir ja nun schon gemeinsam das Stoffdeck. Als wir irgendwann mitbekamen, dass sich ein deutsch-türkischer Nähclub mit ihren Haushaltsnähmaschinen in einer Wilhelmsburger Moschee zum Nähen trifft, haben wir sie spontan eingeladen, ihren Nähtreff einfach wöchentlich bei uns im Stoffdeck zu machen. Und standen dann fassungslos daneben…Denn wir konnten live mit ansehen, was für Zauberhände viele der Frauen haben, obwohl fast alle noch nie in einem richtigen Job waren. Da war uns

schlagartig klar: wir müssen diese beiden Welten noch stärker und auch kontinuierlicher miteinander vernähen. Und seitdem bringen wir mit Bridge & Tunnel professionelles Design und Menschen aus dem Stadtteil mit handwerklichem Geschick zusammen.
Seit Dezember letzten Jahres haben wir unser Team zudem erweitert: um Menschen mit Fluchtgeschichte, die aufgrund der aktuellen politischen Verhältnisse erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind. Bis August freuen wir uns über insgesamt acht Personen aus Syrien oder Afghanistan, die ein Praktikum bei uns machen

Für unser Design verwenden wir post-consumer waste. Deshalb ist jedes Produkt ein Unikat. So verhelfen wir wertvollen Materialressourcen zu einem neuen Leben in style und hoffnungsvollen Talenten aus aller Welt zu einem erfüllenden Job mit Anerkennung.

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Die Menschen, die hier arbeiten, haben oft keine große Chance auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Wie kommen sie zu euch, was für Qualitäten müssen sie mitbringen, und was sind die Schwierigkeiten, ein passendes Team auf die Beine zu stellen?

Constanze // Als klar war, dass es mit Bridge & Tunnel ernst wird, wollten wir die Info, dass wir handwerklich begabte Näherinnen und Schneiderinnen suchen, natürlich bestmöglich streuen. Wir hatten dann das große Glück, dass im Wilhelmsburger Wochenblatt – einem kleinen aber stark gelesenen Blatt auf der Insel – ein Artikel mit unserem Angebot sogar auf dem Titel erschien. vier Plätze wollten wir vergeben, gemeldet haben sich fast sechzig Leute. Auch das Jobcenter, mit dem wir eng zusammenarbeiten, hatte unsere Info gestreut. Unser Telefon stand tagelang nicht still. Es war unfassbar, welchen Nerv wir offenbar getroffen hatten. Wir haben dann am Telefon erstmal mit allen Interessierten eine Abfrage nach ihren Näherfahrungen und eine kleine Erstberatung gemacht. Fünfundzwanzig haben wir dann zu einem Probenähen eingeladen und daraus unser tolles Team ausgewählt.

Neben dem Geschick an der Nähmaschine haben wir das Sprachniveau und die zeitliche Verfügbarkeit abgefragt. Und natürlich haben wir auch geschaut, dass die einzelnen Frauen und Männer gut zueinander ins Team passen. In unserem Kernproduktionsteam arbeiten aktuell 4 (zuvor langzeitarbeitlose) Näherinnen und Näher, die gebürtig aus Indien, der Türkei und Afghanistan kommen. Angeleitet werden sie von 2 weiteren tollen Frauen, die ausgebildete Schneiderinnen oder Bekleidungstechnikerinnen sind.

Die Arbeit mit unserem Produktionsteam nimmt einen Großteil unserer Zeit ein. Da unsere Näherinnen und Näher fast allesamt ungelernt sind, investieren wir viel Zeit, die Leute zu professionalisieren. Die Begleitung geht dabei oft über das Berufliche hinaus. So suchen wir für eine 5köpfige Familie auch schon mal eine neue Wohnung oder erklären den Unterschied zwischen „Nadel“ und „Nagel“

Die Zeit mit unserem Team ist aber auch sehr wertvoll. Wir merken jeden Tag aufs Neue, was es für die Frauen und Männer bedeutet, endlich einen eigenen Job zu haben und etwas zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizusteuern. Die Wertschätzung, die sie durch ihre Arbeit bekommen, erfahren viele von ihnen das erste Mal in ihrem Leben. Da bekommt man schon manchmal Gänsehaut…

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Die von euch hergestellten Produkte werden aus gebrauchten oder getragenen Stoffen hergestellt, wie zum Beispiel Jeans

Wieso gebrauchte Materialien, woher bezieht ihr diese und was genau entsteht daraus?

Lotte // Genau, unsere erste Kollektion entsteht aus recyceltem Denim und umfasst Accessoires und Interior Design Produkte. Dazu gehören hochwertige Hand- und Reisetaschen, wie der Rucksack, Weekender, Handtaschen, Shopper, Clutch und Laptopsleeve, sowie Teppiche und Sitzmöbel, u.a. für Kinder.

Ein Großteil unserer Stoffe beziehen wir von Kleiderkammern. Wir kaufen die sogenannte Ausschussware auf, das sind Materialien, die auch für Ausgabestellen zu schlecht sind und sonst an den Verwerter gehen. Daraus entwickeln wir für unsere Kollektionen dann neue Must­Haves.

Durch die Besonderheit des Materials sind unsere Produkte serielle Unikate, denen man das vorherige Leben ihrer Materialien kaum noch ansieht.

Alle Produkte haben sehr klare Designs, aber raffinierte Schnitte, die mit Gegensätzen spielen: Altes wird zu Neuem, strenge Linien und verspielte Funktionen treffen aufeinander, zeitgemäße Produkte werden in traditioneller Handarbeit gefertigt.

Seit kurzem arbeiten wir auch mit Hanseatic Help zusammen, die sehr erfolgreich gespendete Kleidung sammelt, sortiert und an Geflüchtete und andere Bedürftige in Hamburg verteilt. Bis auf ihre Ladenhüter: Neben Hochzeitskleidern und High Heels sind das v.a. Jeans in Übergröße, die aufgrund ihrer Größe keine neuen Abnehmer finden. Damit diese Materialschätze nicht länger ein trostloses Dasein im Lager fristen, haben wir uns zusammengetan und eine sensationelle XXL-Partnerschaft ins Leben gerufen.

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Euer Label ist aus einem Projekt heraus entstanden. Da gibt es bestimmt einige Schwierigkeiten, mit denen man konfrontiert wird.

Welche waren das und was sind die Gründe, die euch dazu bewegen, mit Bridge&Tunnel weiter zu machen? Was sind die Pläne und Wünsche für die Zukunft?

Constanze // Als wir Bridge & Tunnel konzipiert haben, haben wir nur so vor Tatendrang gebrannt und wollten sofort loslegen. Das ist auch immer noch so, die Umsetzung hat dann aber doch etwas gedauert! Nach der Idee, das war im März 2015, sind fast anderthalb Jahre ins Land gegangen, bis unser Shop im Juli 2016 online gehen konnte. Wir haben also mehr als ein Jahr gebraucht, um alles so umzusetzen, wie wir es uns wünschen. Dazu gehörte die Designentwicklung, aber natürlich auch das Finden des richtigen Teams, das Auftreiben der Finanzierung, der Bau der Website und vieles mehr. Wir hatten von Anbeginn aber eine tolle Presseberichterstattung und haben auch schon einige Bundes-Preise gewonnen, was uns mit einer tollen Dynamik versorgt hat und uns natürlich auch sehr stolz macht.

Unsere Pläne und Wünsche für die Zukunft sind groß und klein zugleich: Momentan sind wir noch überwältigt von den zahllosen Möglichkeiten, die Denim als Material bietet. Da sind wir noch lange nicht am Ende unserer Inspiration!
Seit kurzem bieten wir zum Beispiel die Option an, die eigenen alten Jeans einzuschicken, aus denen wir dann einen individualisierten Rucksack oder Weekender fertigen. Und in Kürze werden wir unser Denim-Sortiment außerdem auf Fashion erweitern, das wird total spannend! Zu Ostern soll zusätzlich unsere 2.Kollektion erscheinen. Sie wird aus wunderschönen alten Vorhangstoffen entstehen, die über 40 Jahre lange in einer Schulaula hingen.

Für die Zukunft träumen wir davon, unser Team zu vergrößern. Wir könnten uns zB vorstellen, neben unserer eigenen Linie zukünftig auch für andere Designer zu fertigen, denen ökologisches und soziales Engagement am Herzen liegt und die ein Interesse an fairer lokaler Fertigung haben. Es bleibt also in jedem Fall spannend.

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BRIDGE&TUNNEL bridge&tunnel.de

// Photos & Written by: Uta Gleiser

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